Die grosse Lüge beim Social Freezing
- Anna Bergmann
- 29. März
- 4 Min. Lesezeit
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin ein grosser Fan von Frauenrechten im Jahr 2025 und ich vertrete den Standpunkt, dass jede Frau selbst darüber entscheiden darf, ob und wann sie Mama wird. Obwohl ich 32 Kinderwunsch-Behandlungen hinter mir habe, habe ich genauso Verständnis dafür, wenn eine Frau niemals Mama werden möchte. Für mich sind Kinder kein Muss, um sich als Frau zu fühlen oder das Gefühl zu haben, ein erfülltes Leben zu führen.
Gerade weil man im Jahr 2025 aber alle Möglichkeiten hat, lauern dabei auch Gefahren. Beim Thema Social Freezing läuten bei mir deshalb die Alarmglocken, weil sich die gesellschaftliche Diskussion immer nur darum dreht, wann es gerade passend wäre, seinen Kinderwunsch zu verwirklichen. Bevor man sich aber diese Frage stellen kann, muss man schon einige Hürden überwunden haben und genau diese werden weder in der Werbung von Kliniken berücksichtigt, noch gesellschaftlich irgendwo besprochen.
Junge Eizellen sind gut - aber das reicht nicht
Für das Social Freezing wird der gleiche Eingriff gemacht, wie bei einer künstlichen Befruchtung, bloss dass die Eizellen nicht befruchtet werden. Aus meinen eigenen 32 KiWu-Behandlungen weiss ich, dass man auch in jungen Jahren nicht auf die Quantität setzen kann. Entscheidet man sich Jahre oder Jahrzehnte später dafür, die Eizellen aufzutauen, lauert hier schon die erste Hürde: Nicht alle Eizellen überleben das Auftauen.
Diese Information sucht man in Klinikbroschüren vergeblich, dieser Fall tritt aber zu häufig ein, um nicht darüber zu sprechen.
Ich war selbst mehrfach davon betroffen im Rahmen unserer IVF-Behandlungen.
Selbst wenn die Eizellen aufgetaut werden können, gibt es dann wiederum keine Garantie, dass sie sich befruchten lassen. Mit anderen Worten: Wie auch bei der künstlichen Befruchtung gibt es immer nur einen Bruchteil an Eizellen, die sich zu einer Blastozyste weiterentwickeln und dann eingesetzt werden können. Es wären also zig Runden an Stimulationen und Eizellenentnahmen nötig, um eine vernünftige Anzahl an Eizellen zu gewinnen - da sprechen wir aber schnell über Beträge von 20'000.-- oder mehr Euro.
So wird Social Freezing aber garantiert nicht angepriesen.
Willkommen im Club der 1 von 6?
Eines von sechs Paaren ist ungewollt kinderlos.
Davon kann ich mich durch Social Freezing bei Weitem nicht ausnehmen, denn wer denkt, dass die Eizellenqualität das einzig Wichtige ist, der irrt gewaltig.
Mal angenommen, man taut nach zwanzig Jahren die Eizellen auf und eine gute Anzahl davon lässt sich befruchten - so weit so gut. Was ist aber, wenn sich trotzdem kein Embryo einnistet? Dann beginnt die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber anders als mit 25 habe ich dann mit 35 oder 40 nur noch eine begrenzte Anzahl an Eizellen überhaupt zur Verfügung. Die Gründe, warum es nicht klappt, können mannigfaltig sein oder sogar mehrfach vorliegen. Trotz exzellenten Embryonen wird man nicht schwanger, wenn man unter einer Einnistungsstörung leidet, wenn die Immunabwehr gestört ist usw. Umgekehrt kann ja auch nicht ausgeschlossen werden, dass es am Partner liegt, warum es mit der Schwangerschaft nicht klappen will, sei es wegen schlechter Spermienqualität, genetischer Inkompatibilität usw. Du siehst, ich schmeisse hier mit Begriffen um mich, von denen die meisten Frauen mit 25 noch nie gehört haben. Genau das ist das Problem. Eines von sechs Paaren sind verdammt viele und die Wahrscheinlichkeit, dass man dazugehört, ist leider nicht gleich Null. Sie ist sogar höher, als mit 35 in einem natürlichen Zyklus schwanger zu werden. Ein krasser Vergleich - aber man sollte sich dessen bewusst sein.
Schon bei jungen Paaren dauert die Diagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch oft Jahre und diese Jahre können einem später unter Umständen fehlen.
Social Freezing kann in diesem Fall den Druck also noch erhöhen, weil die Optionen der Reproduktionsmedizin mit 45 sehr viel weniger werden, als wenn man eine Unfruchtbarkeitsursache mit 25 schon hätte feststellen und behandeln können.
Die Frage nach dem Tag X bleibt
Ich persönlich glaube für nichts im Leben an den perfekten Zeitpunkt, denn Leben ist das, was jeden Tag passiert. Es gibt immer Gründe für oder gegen eine Entscheidung - jeden einzelnen Tag. Am Ende ist alles eine Frage der Priorität und so ist es auch mit dem Kinderwunsch. Wann ist wirklich der perfekte Moment? Für mich reicht schon ein guter Moment. Ich bin vielleicht 30, habe einen guten Job... Soll ich noch ein paar Jahre arbeiten und warten, bis ich noch ein bisschen mehr verdiene? Das wäre doch sicherlich noch besser! Was aber, wenn ich bis dann gar nicht mehr mit meinem Freund zusammen bin? oder meinen Job nicht mehr ausüben kann, weil es meinen Arbeitgeber nicht mehr gibt? Soll ich dann erstmal warten bis 40? Bis 42? Wann ist es zu spät? Wir denken oft unbewusst, dass später alles noch besser wird, aber das ist leider nicht immer so. Es gibt auch den umgekehrten Fall.
Ich weiss nur eines: Es gibt höchstens den falschen Zeitpunkt. Social Freezing wird aber gerne so verkauft, als könnte man die Entscheidung zum Kinderwunsch problemlos zum Sanktnimmerleinstag verschieben. Das ist nicht so. Wenn ich vielleicht karrieremässig doch nicht alle Pläne verwirklichen konnte, der Traumpartner doch nicht mehr da ist oder meine Beziehung darunter gerade erst recht leidet? Je älter man wird, desto schwieriger wird es, Alternativen zu prüfen. Daher finde ich es sehr gefährlich, wenn man beim Social Freezing vermittelt bekommt, dass man alles aufschieben kann.
Am Ende ist eine Entscheidung für ein Kind immer ein Committment. Das bedeutet, dass man in jedem Fall Kompromisse machen muss, aber je nach Gewichtung der massgebenden Faktoren ist ein Kompromiss am Tag X für mich die bessere Wahl, als an Tag Y. Vielleicht ist es die bessere Wahl, meinen alten langweiligen Job aufzugeben und dafür jetzt Mama zu werden? Oder es ist die bessere Wahl, Single Mama zu werden, weil es leichter fällt, mich von meinem ohnehin nur durchschnittlichen Freund zu trennen? Wenn man sich für ein Kind entscheidet, hat das immer Konsequenzen, das perfekte Leben gibt es nicht.
Aber es gibt verdammt gute Lebenspläne. Man darf nur nicht so naiv sein zu denken, dass sie das ganze Leben lang auf einen warten.
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