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AutorenbildAnna Bergmann

Hormonspritzen unter dem Baum und andere Weihnachtsgeschichten

Vor einigen Jahren hätte ich nie so einen Beitrag schreiben können, weil mir das Thema viel zu nahe gegangen wäre, aber mit der richtigen Distanz dazu möchte ich euch gerne ein paar Anekdoten zu Weihnachten erzählen, denn ein bisschen Auflockerung darf auch sein.


Mehrere Jahre hintereinander haben wir Weihnachten kurzfristig im Ausland verbracht, weil dann ein IVF-Zyklus stattgefunden hat. Mein Zyklus lag immer so ungünstig, dass die Behandlungen tatsächlich an den Feiertagen stattfanden, da liess mein Körper nicht mit sich reden und eine Eizellenentnahme am 15. Dezember oder am 3. Januar fand er einfach zu wenig aufregend.


Wo kaufst du deine Geschenke? Ich liess mir mit den Jahren etwas Besonderes einfallen und kaufte mir mein Weihnachtsgeschenk in der Apotheke! Ja du hast richtig gehört! Wenn vor dir zehn Leute wegen Nasenspray und Hustensaft anstehen, ändert sich die Miene der Verkäuferin in der Apotheke doch schlagartig, wenn plötzlich endlich mal jemand kommt und eine Ladung Hormonspritzen kauft. Oftmals waren die Angestellten so überrascht, dass sie erstmal die Kollegin rufen mussten: "Du Renateee, da will jemand so Hormonspritzen, kannst du bitte mal übernehmen? Renate?", und alle verschnupften Gesichter drehten sich mal wieder zu mir um, während aus den Lautsprechern dezent "Last Christmas" erklang. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade ein Gegenmittel gegen eine üble Geschlechtskrankheit oder sonst etwas Ekliges verlangt, denn die Blicke der Menschen in der Apotheke hätten alle alleine zum Töten gereicht. Apotheken haben es nicht immer so mit Vertraulichkeit und Datenschutz, die Neugierde über so eine aussergewöhnliche Bestellung überrollt dann doch die ein oder andere Angestellte. Endlich am Tresen werden mir dann zwei riesige Tüten übergeben, ganz so als hätte ich bei Douglas gerade fünf Kilo Parfum gekauft. Beides hätte um die 4000 € gekostet, bloss dass ich eher auf Spritzen stehe. Um so viel Geld erleichtert zu sein fühlt sich fast so an, wie fünf Kilo leichter zu sein. Immerhin hat sich meine Vorahnung nicht bestätigt, dass die Kreditkarte überzogen ist, sie hat das letzte entscheidende Mal funktioniert.


Während meine Freundinnen sich für die letzten Geschenke durch die Fussgängerzone quälen, gehe ich auch drei Mal in einer Woche die Haupteinkaufsstrasse meiner Stadt herunter. Dies aber nicht, weil ich so vergesslich wäre und immer noch neue Geschenke bräuchte - mit den Spritzen ist das Budget dieses Jahr nun wirklich ausgereizt. Nein, ich gehe im vollen Vorweihnachtsstress noch drei Mal zum Ultraschall, fünf Minuten Zwiebellook ausziehen für die letzten Updates, danach fünf Minuten wieder anziehen und verschwitzt zurück ins Büro rennen, während ich versuche der Klinik im Gehen eine Email mit den Follikelgrössen zu schicken - in der überfüllten Fussgängerzone chancenlos. Zurück im Büro ernte ich nur vorwurfsvolle Blicke, weil alle denken, dass ich mal wieder ein sinnloses Geschenk gekauft habe, das ich bei etwas besserer Vorbereitung auch vorgestern schon hätte kaufen können, als ich auch schon wieder weg musste. Die Kollegen wurden mal wieder eingespannt, um mein nie stillstehendes Telefon zu bedienen - eine Frechheit. Ich ignoriere sie und tippe mit gefrorenen Fingern mein Passwort in die Tastatur - Sie haben 23 ungelesene Nachrichten. Das einzig Positive ist, dass im Büro nicht auch noch "Last Christmas" läuft.


Die Gespräche im Büro über die diesjährige Trendfarbe bei Weihnachtskugeln oder den besonders günstigen Adventskalender von DM verhallen dumpf an meinen Ohren, denn wir haben uns aus finanziellen Gründen dieses Jahr gar keinen Baum gekauft. Immerhin kostet der auch meist ca. 80 Euro, das investieren wir lieber in einen zusätzlichen Ultraschall, wenn es ihn denn mal braucht. Für einen halben Ultraschall wird das knapp reichen. Schenken tun wir uns nichts, es reicht, wenn wir diese zwei Wochen ohne Kollateralschäden überstehen.


Wenn mich jemand fragt, was wir dieses Jahr an Weihnachten vorhaben, dann erzähle ich mit gequältem Lächeln, dass wir uns ein Wellnesswochenende im Ausland gönnen. Was daran genau Wellness sein wird, verrate ich aber niemandem.


Mein Stresspegel steigt merklich, wenn ich in der Check-In Schlange vorrücke. Aus irgendeinem schlechten Lautsprecher scheppert wieder "Last Christmas" und genauso fühle ich mich auch. Last Christmas war zum Versenken und sich dazu auch noch einen Song dieser Art anhören zu müssen, ist schlimmer als jede Folter. Vor mir wartet eine Gruppe mit Ugly-Christmas-Sweatern, deren Alkoholpegel offensichtlich schon im oberen Bereich ist, obwohl es erst 10 Uhr ist. Sie schubsen sich gegenseitig und jemand rempelt mich mit einer übergrossen (und überteuerten) Handtasche so fest an, dass ich fast meine heilige Schachtel fallen lasse.


Während andere die Kataloge von Pandora durchgeblättert haben, habe ich in den letzten Tage nach der idealen Kühltasche gesucht, die auf die Verpackungsgrösse der Spritzen zugeschnitten ist und die ich mit nicht zu grossen Eispacks mit in den Flieger nehmen kann. Bei Tchibo bin ich schliesslich fündig geworden, wenigstens diesmal nur 23 Euro.


Endlich sind wir an der Reihe und wenigstens ist die Frau am Business-Class Schalter etwas freundlicher, als die gehetzte Kollegin nebenan mit der Pulloverfraktion. Immerhin bezahle ich dafür. Um hier eins klarzustellen: Ich werde mir während diesem Kurztrip nichts kaufen, weil ich mir absolut nichts leisten kann. Das Business-Class Ticket war wieder mal so ein Notfall, denn die Economy Class war schon ausgebucht gewesen, als meine Frauenärztin das Follikel-Orakel interpretiert hat und mir das OK für heute gegeben hat. Die paar hundert Euro mehr haben sich aber schon gelohnt, weil die Mitarbeiterin mir freundlich versichert, dass die Kühlbox mit den Spritzen kein Problem sei. Airlines schreiben ja vieles auf der Webseite, aber lass dir das mal schriftlich geben, nachdem du 45 Min in der Telefonwarteschleife warst und dir Last Christmas 2643 Mal anhören musstest... Kein Scherz...


Ich trage die Box, als wäre sie voller roher Eier aus Gold. Ich muss aufpassen, dass ich bei der Sicherheitskontrolle nicht als Terroristin enttarnt werde, weil wohl niemand so unbehaglich aus der Wäsche schaut wie ich. Der Zollbeamte beäugt die Box argwöhnisch und ich versuche nett zu lächeln und sage ihm: "Ähm, wissen Sie, ich reise für eine medizinische Behandlung!". Er mustert mich von oben bis unten, findet meine Ausrede vermutlich total schlecht, denn ich sehe ja nicht krank aus, sondern eher wie eine Bombenlegerin auf ihrem ersten Einsatz. "Diabetiker"?, fragt er. Ich verneine gequält und schiebe ihm das zerknitterte Rezept der Klinik unter der Glasscheibe durch. Er runzelt die Stirn und versucht zu verstehen, was er da liest. Klarerweise ist ihm das noch nie in seiner Karriere begegnet und er versteht es nicht. Je länger er wortlos auf den Zettel starrt und dann immer kurz den Blick zu mir hebt, desto stärker werden meine Schweissausbrüche. Wenn er mich jetzt nicht durchlässt - was dann?


Schliesslich knallt er wortlos den Zettel unter der Durchreiche auf den Tisch, der Nächste bitte. Wieder fühle ich mich um fünf Kilo erleichtert und hüpfe fast beschwingt zum Gate, wieder im Takt von "Last Christmas".


Dass der Flieger wegen dem Enteisen drei Stunden Verspätung hat, kann mir nichts anhaben. Ich bin optimal vorbereitet, habe alle Spritzen dabei und spüre die Follikel wachsen, bloss gleich den Gurt nicht zu fest anziehen. Die Sessel in der Business Lounge sind wirklich komfortabel, das muss ich mir merken. Am Gate verfalle ich in eine Tiefenentspannung, während um mich herum tausende Leute gestresst ihre Koffer umherschieben, mit ihren Liebsten am anderen Ende der Welt telefonieren und letzte Geschenke im Dutyfree viel zu teuer einkaufen. Ich habe es bis fast ans Ziel geschafft, übermorgen kommt nur noch die Eizellenentnahme, aber das ist ja Pillepalle. Ich habe den Zoll duchlaufen, besitze den richtigen Kühlbehälter und mein Flugticket hat sogar Speedy Boarding, was will man mehr.


Am Rande der Erschöpfung versinke ich in den weichen und breiteren Ledersitz der Business Class, während das gemeine Volk sich durch den schmalen Gang zu den hinteren Sitzreihen kämpft. Einen Aperitif habe ich abgelehnt (es ist 14 Uhr?), ich will einfach nur noch fliegen. Als die Stewardess mich freundlich fragt, ob sie meine Tasche noch oben verstauen soll, schrecke ich hoch und umklammere sie, als würde ich dafür sterben wollen. Niemals! Vielleicht war mein Blick etwas zu böse, denn sie wendet sich verstohlen ab und begrüsst den Geschäftsmann hinter mir.


Zugegeben, Business Class hat auch etwas Gutes. Der teuer bezahlte Sitz fängt mich auf, während um mich herum der Trubel seinen Lauf nimmt. Als der Flieger beschleunigt, lasse ich mich in den Sitz fallen und schliesse die Augen. Alle anderen Passagiere um mich herum denken jetzt an die bevorstehenden Tage mit ihren Liebsten, daran wie sie ihre Geschenke finden werden oder daran, ob sie die Haustüre auch wirklich verschlossen haben. Der Pilot brabbelt etwas von Weihnachten durch das Mikrofon, aber niemand versteht ihn. Die Gruppe mit den hässlichen Weihnachtspullovern ist schon wieder dem Alkohol verfallen und irgendjemand hört wieder Last Christmas mit Lautsprechern.


Als der Flieger gelandet ist, springen alle wie von der Tarantel gestochen hoch, um dann zehn Minuten in geknickter Stellung im Gang zu verharren, vollgepackt mit ihren unförmigen Einkaufstüen aus dem Dutyfree. Als das Anschnallzeichen erlöscht, schnappe ich mir lässig meinen gar nicht so modischen Coolbag (so könnte man ihn zumindest nennen, dass es besser klingt) und verlasse vor allen anderen den Flieger. Unbezahlbar.


Die Zollkontrolle bei der Einwanderung stresst mich nun nicht mehr, jetzt bin ich ja schonmal hier, die werden mich jetzt nicht nach Hause schicken. Ich bin schon so weit gekommen, daran wird es jetzt nicht mehr scheitern.


Der beste Part kommt aber noch: An Weihnachten hat kein Restaurant geöffnet, alle Läden sind zu und im Hotel kann man sich nur kalte Clubsandwiches für 35 Euro aufs Zimmer bestellen. Am ersten Tag habe ich diesen Fehler gemacht und am Ende liess sich der Schinken nicht gut entfernen (ich esse kein Fleisch). Der Geheimtipp ist dann, bereits um 16 Uhr beim Asiaten zu bestellen und sich das Essen quer durch die Stadt ins Hotel liefern zu lassen. Es dauert ewig, weil nur gefühlt drei Anbieter an Weihnachten überhaupt liefern, aber wenn schon Business Class, dann kann man beim Essen seine Ansprüche ja etwas herunterschrauben. Ich geniesse nichts mehr, als einfach im Hotelzimmer zu liegen, keine Verwandten sehen zu müssen, keine stressigen Einkaufstouren mehr machen zu müssen, sondern einfach zu den anonymen Gästen aus Zimmer 233 zu gehören, bei denen niemand so richtig weiss, was sie zehn Tage in diesem Hotel machen.


Am Ende macht es mir fast schon Spass, auf Secret Mission zu sein. Ich fühle mich mit der Zeit wie eine Geheimagentin, wenn ich in die U-Bahn einsteige. Alle hier drin fahren zum Weihnachtsmarkt, nur ich habe eine besondere Mission. Getart als Touristin schlendere ich etwas zu schnell über den Weihnachtsmarkt, der eigentlich nicht unser Ziel ist. Wahrscheinlich hätte mit das enttarnt. Stattdessen verschwinde ich in einem unscheinbaren Gebäude in einer Seitenstrasse, aus dem ich fünf Stunden später und um 18 Follikel leichter wieder heraustorkle. Es ist endlich vorbei, der Stress fällt von mir ab und zum ersten Mal sehe ich wirklich, was an den Ständen auf dem Weihnachtsmarkt nun alles zum halben Preis verkauft wird.


Auf dem Rückflug läuft zum Glück nicht mehr Last Christmas, aber alle Leute erzählen einander von ihrer Völlerei über die Tage, was sie einander geschenkt haben und wie mühsam es wieder war mit Tante Agathe oder Oma Ornella. Meine Sitznachbarn sind froh, dass ich kein Gepäckstück oben verstauen wollte und sie stattdessen ihre fetten Taschen dort hineinpressen können. Ich habe keine Geschenke gekauft, mein Geschenk ist hoffentlich in meinem Bauch und die Tasche mit den Spritzen habe ich weggeworfen. So sitze ich in meinem Business Class-Sitz, in Gedanken versunken, ob es diesmal vielleicht geklappt hat, den Versuch war es auf jeden Fall wert und ich werde jedes Jahr ein bisschen professioneller - obwohl ich noch an der Performance beim Zoll arbeiten muss. Vielleicht wird das ja gar nicht mehr nötig sein. Und wenn doch: Dann packe ich meine Spritzen das nächste Mal in Geschenkpapier ein.




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