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Ich habe für meinen Kinderwunsch so viel gelogen

Ja, ich habe gelogen, dass sich die Balken gebogen haben - vor allem bei der Arbeit. Ich habe gelogen, dass ich zur Physiotherapie müsste, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch nie Rückenprobleme gehabt habe. Ich habe gelogen, dass ich auf eine Hochzeit nach Stockholm eingeladen wurde, obwohl ich tatsächlich in Kopenhagen bei der Kinderwunschbehandlung war. Ich habe erzählt, ich müsse meinen Partner auf ein Seminar begleiten, dabei waren wir in Riga in der KiWu-Klinik für einen ERA-Test.


Mein Reel dazu auf Social Media ging letzte Woche viral - denn dieses Thema hat so viele von euch beschäftigt.


Wir haben doch 2025 - kann man da nicht offen darüber sprechen?

Nein, kann man nicht. Würde man in der Schweiz einen unerfüllten Kinderwunsch am Arbeitsplatz kommunizieren, würde man sich einer ganzen Salve an juristischen Risiken aussetzen. Wenn man etwas nicht braucht, dann ist es noch eine Kündigung am gleichen Tag, wie man ein negatives Ergebnis einer IVF in den Händen hält - das sage ich nicht einfach so - ich habe das selbst erlebt und möchte es nicht nochmal erleben.


Aber macht das nicht etwas mit einem, wenn man seine Freude immer anlügen muss? Kann man nicht einfach gar nichts sagen, erzählen, dass man keine Kinder möchte oder so?


Dass Aussenstehende so etwas fragen, kann ich gut verstehen. Das Problem ist, dass das im Alltag mit unerfülltem Kinderwunsch nicht so einfach ist.

Man kann nicht einfach "nichts" erzählen, denn der Alltag ist durchsetzt von Arztterminen, umgebuchten Flügen, abgesagten Hochzeitseinladungen usw.

Einmal trifft es den Mädelsabend, bei dem ich mir eine Ausrede überlegen muss, einmal trifft es halt den Kundenanlass beim Arbeitgeber. Es gibt keinen einfachen Weg da durch, bei dem man nie in einen solchen Konflikt kommt.


Am Ende geht es aber darum, dass ich die Reaktion meines Gegenübers niemals abschätzen kann. Die kann mich aber genau in den Momenten erreichen, in denen ich schon ganz unten bin. Zum Beispiel, wenn ich gerade gespürt habe, dass sich ein Blutstropfen in meine Unterhose löst und dann der sonst nette Kollege reinkommt und etwas genervt sagt: "Wie, du bist schon wieder nicht dabei beim Kundenanlass?"


Das klingt schon übel, aber es klingt weniger übel als: "Langsam reicht es mal mit deinen Frauenarztterminen, es muss halt nicht jeder Kinder haben?! Schliesslich haben wir hier eine wichtige Arbeit zu erledigen?"


In dieser Situation zu lügen hat niemals die Absicht, jemanden aktiv zu schädigen. Es geschieht aus reinem Selbstschutz und oftmals ist die präsentierte Alternative nur minimal anders und das Gegenüber merkt es nicht einmal.


Aber ist das nicht abgebrüht und moralisch schlecht?

Nein, ist es nicht. Es gibt in der Philosophie zwei wesentliche Theorien zu Lügen. Die eine besagt, dass man niemals lügen darf, weil es keine Differenz zwischen einem Gedanken und dem Medium der Sprache geben darf, welches nur dazu da ist, Gedanken jemand anderem mitteilen zu können. So weit so gut. Schnell wird einem dann vorgeworfen, dass man ein schlechter Mensch sei, wenn man nicht immer die Wahrheit sagt. Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich bin ziemlich sicher, dass ihr dann auch mal so etwas sagen müsstet: "Ich finde dein Outfit heute unterirdisch hässlich", oder "Bist du die Tusse, die schon wieder halb auf meinem Parkplatz in der Tiefgarage geparkt hat, weil sie zu blöd ist, ihr kleines Auto mit Einparkassistent auf ihrem Feld zu parken?"; stattdessen sage ich aber: "Oh, kann es sein, dass der weisse Kleinwagen jemandem von euch gehört? Ich habe da etwas Schwierigkeiten daneben einzuparken, könntest du vielleicht etwas enger auf deinem Feld parken?". Alles hat immer zwei Seiten.


Die andere Theorie besagt, dass man dann lügen darf, wenn dadurch ein höherwertiges Interesse geschützt wird bzw. wenn die Lüge für den Betroffenen (der ja nichts davon weiss...) keine wesentlich schlechteren Auswirkungen hat. Diese Theorie hinkt insofern ein bisschen, als dass der Belogene ja gar nicht weiss, dass er belogen wird und es somit immer einseitig ist, was man nun für schlimm hält und was nicht.


Im Grossen und Ganzen gilt hier aber die Privatsphäre, ein ernsthaftes medizinisches Problem und ein ganzer, auf dem Spiel stehender Alltag als gewichtigeres Interesse, als das Interesse von Tante Gisela, den genauen Absagegrund für die Einladung zum Kaffee zu kennen. Da tut es auch eine Migräne.

Wenn ich eines gelernt habe - ich verrate es dir gerne:

Wenn du langfristig in dem Haifischbecken des unerfüllten Kinderwunsches klarkommen willst, dann musst du radikal egoistisch werden. Du musst die Party absagen, wenn du schon spürst, dass sie dich überfordern wird. Höre auf dein Bauchgefühl. Es ist der falsche Zeitpunkt, um es allen recht zu machen, ständig Termine anzunehmen, die dich stressen.


Du musst dich selbst an erste Stelle setzen, sonst konsumieren solche Aktionen Energie von dir, die du nicht hast.

Vielleicht hörst du auch einen gewissen Zynismus aus meinem Artikel und ja - den gibt es! Mir wurden durch diesen jahrelangen Kampf die Augen geöffnet, wie ich auf mich Acht geben kann, oder wie ich mich durch andere kaputt machen kann. Am Ende habe ich mein Ziel erreicht: Ich habe meinen Lebenstraum verwirklicht und bin Mama geworden. Das hätte ich nicht geschafft, wenn ich immer das Beste für die anderen gemacht hätte, und mich selbst dabei aus den Augen verloren hätte. Du lügst niemals, weil du gerade Lust darauf hast, sondern weil du dich selbst schützen willst und weil du die Kontrolle behalten willst, wer deine Geschichte schreibt: Du.


Du brauchst Verstärkung bei deinem Schlachtplan? Im Coaching arbeiten wir ganz individuell an deiner Strategie: Was erzählst du auf der Arbeit, wie konterst du Tante Gisela und so weiter. Buche dir ein kostenloses Erstgespräch und wir krempeln die Ärmel hoch!

 
 
 

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