Teil 1: Schuld - der Elefant im Raum
Unerfüllter Kinderwunsch stürzt fast alle Betroffene in ein grosses Gefühlschaos, welches sich manchmal Tag für Tag verändert. Dazu gehören Gefühle wie Enttäuschung, Wut, Verzweiflung und viele mehr. Im ersten Teil dieser Serie soll es gleich um den Elefanten unter den Gefühlen gehen: die Schuld.
Schuldgefühle spielen bei unerfülltem Kinderwunsch eine grosse Rolle. Von aussen betrachtet würde man sich sehr schnell fragen, wozu man denn über Schuld nachdenkt? Obwohl dies rational eine berechtigte Frage ist, machen sich Schuldgefühle bei Betroffenen breiter, als es einem lieb ist.
Schuldgefühle können verschieden gelagert sein. Dazu gehören Schuldgefühle, weil man evtl. der Partner ist, wegen dessen medizinischer Einschränkung es nicht so leicht klappen will, zum Beispiel wegen der Samenqualität, wegen undurchlässigen Eileitern oder wegen anderen klar definierbaren Voraussetzungen. Zu wissen, dass man die Ursache für die Kinderlosigkeit vor allem des anderen ist, ist ein quälendes und zerfressendes Gefühl. Genauso wenig, wie man etwas dafür kann, dass man z.B. eine schlechtere Spermienqualität hat, genauso wenig kann man etwas dafür tun, um dies zu ändern (mit wenigen Ausnahmen der Optimierung natürlich). Dadurch entsteht ein Gefühl des ausgeliefert seins, weil man es ja so gerne anders hätte.
Manche Schuldgefühle sind aber auch diffuser. Man fühlt sich schuldig, dass man es nicht hinbekommt, dass man nicht gut genug ist, oder dass man nicht genug für den Kinderwunsch tut. Dies kann sich auch darin äussern, dass man denkt, es nicht zu verdienen, ein Baby zu haben, etwa weil man in anderen Lebensbereichen schon sehr viel Glück hat oder sehr erfolgreich war.
Wohlgemerkt: Bei nüchterner Betrachtung erscheinen viele dieser Gedanken irrational, aber es ist eine normale Reaktion jeder betroffenen Person, bei länger dauernden Misserfolgen nach Gründen zu suchen. Wenn die rationalen Erklärungen ausgeschöpft sind, liegt es nahe, auf weniger rationale Antworten auszuweichen.
Schuld spielt auch in Bezug auf den eigenen Körper eine Rolle. Man schiebt die Schuld auf den Körper, der nicht so funktioniert, wie er sollte. Da man selbst nicht viel tun oder lassen kann, um schwanger zu werden, möchte man seinen Frust an jemandem abladen und dies kann der eigene Körper sein.
Im weiteren Sinne spielen Schulgefühle auch häufig eine Rolle in Bezug auf andere Familienmitglieder. Neben dem Partner fühlt man sich evtl. auch den Grosseltern gegenüber schuldig, wenn man ihnen kein Enkelkind schenken kann. Man fühlt sich dem Freundeskreis gegenüber schuldig, weil man nicht mithalten kann und langsam zum Aussenseiter wird, wenn alle anderen Kinder haben. Dann kommt man schnell in die Fahrwasser des „Ent-Schuldigens“, weil man eine Antwort geben möchte, um für andere Menschen zu erklären, warum etwas bei einem nicht so ist wie bei ihnen. Wozu das? Wer sagt, dass man jemand anderem etwas schuldig ist?
In den allermeisten Fällen wird Schuld aber mit einer Form von Versagen assoziiert, weil es mit dem Baby einfach nicht klappen will.
Unsere gesellschaftliche Vorstellung von Schuld kommt aus dem rechtlichen Kontext. Wenn man einen Fehler macht, ist man (meistens) daran Schuld und kann dafür bestraft werden, oder man schuldet dem anderen etwas im Sinne eines Ausgleichs. Es gibt aber Schuldbefreiungsgründe, wenn feststeht, dass die betroffene Person für ihre Taten nicht verantwortlich ist.
Bei unerfülltem Kinderwunsch kann man schon gar nicht von Taten sprechen, weil man ja gerade nichts tun kann, um am Ergebnis etwas zu ändern. Umso weniger ist deshalb der Begriff der Schuld angebracht, weil man sich die Situation nicht aussuchen kann. Schuld sein kann ich für etwas, wo ich eine Wahl habe es so oder anders zu machen. Wenn ich mich falsch entscheide, trifft mich vielleicht Schuld, wenn ich es hätte besser wissen müssen. Im Endeffekt ist Schuld ein Mittel, Konsequenzen einzuschätzen und dafür geradezustehen, wenn ein Ergebnis auf eine bestimmte Weise eintritt.
Für unerfüllten Kinderwunsch passt dieses Konzept aber überhaupt nicht. Deshalb gebe ich meinen Klientinnen gerne folgende Denkanstösse auf den Weg:
Schuld kann einen nur treffen, wenn man eine aktive Wahl hatte.
Du tust schon viel mehr als andere tun müssen, warum solltest du dann schuldig sein?
Klopfe dir mal kurz auf die Schulter, für alles was du tust.
Du und dein Körper - ihr seid ein Team. Schuld zieht euch beide nach unten - mit gegenseitigem Empowerment könnt ihr nur gewinnen.
Jeder Mensch hat 100% Glück verdient - in jedem Lebensbereich.
Warum ent-schuldigen? Um bei der Schuld zu bleiben: Du bist niemandem Rechenschaft schuldig.
Was schuld aber definitiv ist: ein Troll! Sie kommt und geht, sie schleicht manchmal um einen herum und versucht, sich auf einen draufzulegen. Oftmals können wir sie nicht ganz auf den Mond verbannen, aber wir können unsere Kanone rausholen und sie mit unseren guten Argumenten wieder mal ganz weit weg schicken. Vielleicht kommt sie mal wieder, aber wir sind gut vorbereitet und bieten ihr die Stirn.
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