Als Kinder lernen wir das Urvertrauen als ganz normalen Entwicklungsschritt. Das Urvertrauen ist wie eine Basis für alle späteren Herausforderungen des Lebens. Aber wie äussert es sich genau, wenn man Urvertrauen hat? Wir müssen gar nicht so genau wissen, warum etwas so ist wie es ist. Ein kleines Kind wird immer zur Mama rennen, wenn es Schmerzen hat oder wenn es weint, weil es weiss, dass es bei der Mama im sicheren Hafen ist. Niemals würde es dem Kind in den Sinn kommen, in der gleichen Situation in die Garage zu rennen oder ins Badezimmer. Das Urvertrauen sagt uns einfach, dass etwas so ist, wie es ist. Beispielsweise würde niemand daran zweifeln, dass jeden Morgen die Sonne wieder aufgeht. Im Englischen wird das Wort Trust verwendet, was gleichzeitig auch Basis oder Vertrauen bedeutet.
Ohne Vertrauen gäbe es keinen Alltag, denn die meisten Faktoren im Alltag bemerken wir gar nicht erst, sondern sie sind einfach immer da und geben unserem Alltag Struktur.
Das gibt uns den Raum, grundsätzlich darauf zu vertrauen, dass wir den Rahmen des Lebens kennen und uns in aller Regel nichts passiert.
So funktionieren übrigens auch alle Versicherungen, die wir im Laufe des Lebens abschliessen. Eine Autoversicherung ist nur deshalb profitabel, weil sich die meisten Autofahrer so verhalten, dass ihnen nichts passiert. Würden alle riskant fahren und alle Regeln missachten, könnte man sich keine Versicherung mehr leisten.
Indem wir mit einem Urvertrauen durch den Alltag gehen, können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und können darauf vertrauen, dass alles seinen gewohnten Gang geht.
Auf körperlicher Ebene verbinden wir absolute Geborgenheit und Selbstliebe mit dem Urvertrauen. Wir fühlen uns sicher und gut aufgehoben.
Wenn wir uns entscheiden, eine Familie zu gründen, können wir zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht wissen, dass irgendetwas dabei schief laufen könnte. Wir vertrauen darauf, dass es ganz normal klappen wird, weil das der normale Vorgang ist, der uns unser ganzes Leben lang suggeriert wurde. Wir gehen immer vom Normalfall aus, nicht von der Ausnahme. Wenn es dann plötzlich nicht klappen will, führt dies erst einmal zu Unsicherheit. Wir beginnen zu zweifeln, ob wir etwas übersehen haben und ob wir alles richtig gemacht haben.
Damit einher geht meistens auch ein Gefühl von Ungerechtigkeit, denn dass es nicht klappt, haben wir nicht einkalkuliert und nun müssen wir diesen Faktor plötzlich miteinrechnen. Wir haben uns auf etwas verlassen, was nun so nicht eintritt; es ist das Ende einer Täuschung - eine Enttäuschung. Eine Enttäuschung fühlt sich auch an wie verlassen werden oder ausgeliefert sein.
Viele meiner Klientinnen berichten, dass sie durch diese Enttäuschung auch in anderen Lebensbereichen vorsichtiger geworden sind. Plötzlich trauen sie sich nicht mehr, sich richtig zu freuen, denn vielleicht lauert da hinter der Ecke wieder eine Enttäuschung. Auch das Vertrauen in andere Personen kann schwinden, was viele auch nach gescheiterten Beziehungen verspüren. War man vorher noch optimistisch, wird man nun eher verhalten und überlegt zwei mal, ob die eigene Einschätzung zur Situation wirklich plausibel ist, denn man ist ja schon einmal falsch gelegen. In der Konsequenz entstehen dadurch Selbstzweifel, weil man sich andauernd hinterfragt und nie sicher ist, ob man eine Situation richtig eingeschätzt hat, wo man vorher doch so unbedarft an neue Dinge herangegangen ist.
Auch wenn es irgendwann klappt mit dem Kinderwunsch, hinterlassen die erlittenen Rückschläge und Verluste oft ein Gefühl, welches das Urvertrauen nicht ganz zurückbringt. Viele Betroffene berichten deshalb, dass sie nachher nicht mehr dieselbe Person waren, wie vor dem unerfüllten Kinderwunsch. Eine gewisse Unbedarftheit oder manchmal gar Naivität ist verschwunden.
Die gute Nachricht ist, dass man das Urvertrauen zumindest teilweise positiv beeinflussen kann, oder einen Verlust des Urvertrauens abfedern und verringern kann. Wenn wir einen Moment erleben, in dem wir wieder eine schlechte Nachricht erhalten, oder einen Rückschlag erleiden, können folgende Punkte helfen:
Vertrauen muss nicht gleich zu Misstrauen werden. Es hilft, jede Situation neu und neutral zu beurteilen und ihr die Chance zu geben eine gute zu werden. Vieles hat hier auch mit dem Mindset zu tun, denn kein oder wenig Vertrauen zu haben ist nicht das Gleiche, wie von vornherein Misstrauen zu haben. Dann vertrauen wir nämlich schon darauf, dass es sowieso nicht geht. Wenn eine Situation schlecht wird, merken wir das aber noch früh genug. Hier hilft der berühmte Satz: Wenn du die Probleme von morgen schon heute mir ins Boot nimmst, kannst du nur untergehen. Das hat nichts mit (zu) positiv denken zu tun, sondern einfach mit einer netutralen Herangehensweise.
Ein Abgleich mit alljenen Dingen machen, die gerade gut funktionieren, zum Beispiel eine stabile Partnerschaft (das ist sie, denn aus einer instabilen Partnerschaft wagt man sich meistens gar nicht auf die Kinderwunschreise). Damit kann man sich rückversichern, dass allenfalls ein Teilbereich gerade nicht gut läuft, dass aber im grossen Kontext vieles auch richtig läuft und es Konstanten im Leben gibt, die auch durch eine vorübergehende Krise nicht erschüttert werden können.
Selbstfokus: In schwierigen Momenten sollte man seine Kräfte bündeln und ganz nahe bei sich selbst sein. Es bringt dann nichts, im Aussen zu sein und eigene Kräfte, die man gar nicht hat, noch an der Front für andere Dinge zu verbraten. Sich auf sich selbst zu konzentrieren und Dinge zu tun, die einem guttun, ist dann die einzige Möglichkeit, wieder zu sich zu finden. Wir kennen uns ja am besten selbst, deshalb ist es in schwierigen Momenten wichtig, Dinge zu tun die wir gerne und gut können, weil wir eben genau darauf vertrauen können und eher mit uns selbst ins Reine kommen. Man kann sich dies anhand einer Raupe im sicheren Kokon vorstellen, die eine Weile die Komfortzone nicht verlässt und in ihrem engsten Umfeld erst wieder auftanken möchte.
Abstand nehmen von irrationalen Erklärungen: Wenn wir Momente der grössten Zweifel haben, liegt es oft nahe, plötzlich irrationale Antworten zu suchen, weil uns in der rationalen Welt keine Antworten mehr zur Verfügung stehen. Nicht selten gibt es Frauen, die plötzlich denken, dass ein Fluch auf ihnen lastet, oder dass andere Kräfte dafür sorgen, dass sie kein Kind bekommen. Besonders in Momenten der Angst haben wir aber gute rationale Fähigkeiten, die uns wieder auf den Boden der Tatsachen bringen können. Hier hilft es, zu jedem irrationalen Gedanken ein Gegenargument zu finden. Diese praktische Übung ist mehr als nur Aufschreiben. Sobald wir einen Gedanken in Worte fassen und diese dann auch noch durch eine physische Bewegung aufschreiben, bekommen sie mehr Gewicht und der schlechte Gedanke (den wir natürlich nicht aufschreiben) ist übertrumpft.
Soziale Kontakte fördern: Auch wenn wir manchmal allein sein möchten, kann in Momenten fehlenden Urvertrauens ein sozialer Kontakt helfen. Am besten trifft man sich mit langjährigen Vertrauenspersonen, die einem in diesem Moment zurückspiegeln können, dass sich vieles bewährt hat und dass die Freundschaft selbst konstant ist. Gute Freunde kennen uns gut und können uns auch vor gedanklichen Irrwegen wieder zurückholen.
Auch wenn das Urvertrauen durch das Erleiden einer schwierigen Kinderwunschzeit erschüttert werden kann, wird dies lange nicht so stark ausfallen, wenn man dies frühzeitig in seine Planung miteinbezieht.
In fast allen Coachings arbeite ich mit den Klientinnen daran, das Problem des unerfüllten Kinderwunsches zu skalieren und auch möglichst genau zu benennen, denn je klarer es wird, umso besser kann man es einordnen. Diese Aufgabe geht oft lange über die Kinderwunschzeit hinaus, aber ihre Auswirkungen sind deutlich erkennbar und lassen jeden Tag leichter werden, als denjenigen davor.
Kommentare