Man könnte ja meinen, dass man im Jahr 2024 über das Thema unerfüllter Kinderwunsch bzw. Fehlgeburt offen reden kann. Das ist aber leider bei weitem noch nicht so, wie auch eure Zuschriften bestätigen. Gerade auf der Arbeit muss man sich zwei Mal überlegen, ob man die Ergebnisse der letzten Gebärmutterspiegelung im gleichen Rahmen mit der Belegschaft teilen will, die Klaus aus der Buchhaltung seine Fortschritte aus der Physiotherapie. Sehr viele Vorurteile blockieren oft eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, etwa dass ein Arbeitgeber bei einer Schwangerschaft einer Mitarbeiterin sogar neun Monate Zeit hat, einen Ersatz zu finden; was er bei einem Skiunfall eines Mitarbeiters nicht hat, der sofort für drei Monate ausfällt. Trotzdem ist das Thema in den Köpfen der Leute extrem tabubehaftet und gefühlt 95% der gut gemeinten Ratschläge - oder unverfroren neugierigen Fragen - treffen Betroffene mitten ins Herz im negativen Sinne. Kaum ein anderes Thema triggert so viele Vorurteile wie unerfüllter Kinderwunsch. Im Allgemeinen laufen sie alle darauf hinaus, dass Menschen das Gefühl haben, man könne beim Schwangerwerden tatsächlich etwas falsch machen, man müsse sich nur entspannen oder es gäbe eine realistische Möglichkeiten, einfach nicht immer daran zu denken.
Es sind immer die emotionalen Erfahrungen, die einen als Betroffene schnell überwältigen können und bei einer offenen Kommunikation des Themas oft dann auf einen einprasseln, wenn man es gerade am wenigsten verträgt. Konkret sind das Momente, in denen man im Büro aufs Klo geht und gerade feststellt, dass die letzte IVF doch wieder nichts geworden ist, ehe man der Bürokollegin in die Arme läuft die fragt was los sei, um einem dann zu sagen, dass man doch positiv denken solle, das nächste Mal würde es bestimmt klappen....
Aber ist das nicht antifeministisch, wenn man da drüber nicht spricht? Soll man nicht erst recht darüber sprechen, um solche Vorurteile zu brechen?
Tatsächlich werde ich das ab und zu gefragt. Wozu dieses Tabu? Warum nicht offen darüber sprechen? Für mich sind das zwei Paar Schuhe, ob man über seinen eigenen akuten Fall spricht, oder über das Thema insgesamt. Ich tue ja gerade genau das, ich spreche offen über das Thema und teile alle Widrigkeiten - dies aber in einem allgemeinen Umfeld und mit allen Menschen gleichermassen. Jetzt habe ich aber den Vorteil, dass ich emotional nicht in einer Behandlung stecke und dass ich im Rückblick über das Thema spreche. Jetzt habe ich die Ressourcen dafür, ich habe die Erfahrung und die Kraft, auf blöde Kommentare einen sattelfesten Konter zu geben.
Als ich mitten in den Behandlungen steckte, war ich so zerbrechlich, dass mich der kleinste Hauch eines kritischen Kommentars umgehauen hätte. Reaktionen aus dem Umfeld - und waren sie noch so gut gemeint - haben mich im falschen Moment so heruntergezogen, dass ich einfach zu viel Energie brauchte, um mich davon zu erholen. Diese Energie hat mir dann an anderer Stelle gefehlt. Ich hatte auch nicht die professionelle Distanz zu dem Thema, die ich heute habe. Hätte ich mitten in einer Behandlung jemandem im Büro vom Ablauf einer Eizellenentnahme erzählen müssen, dann hätte ich Bilder imKopf gehabt, welche Bilder die anderen im Kopf haben. Das tut niemandem gut und überschreitet sämtliche persönlichen Grenzen. Heute - viele Jahre danach - ist das Thema weit genug weg, dass ich es wieder an mich heranlassen kann und ich erkläre gerne jedem im Detail, wie eine Eizellenentnahme abläuft. Bloss gibt es jetzt den feinen Unterschied, dass ich gerade nicht davon betroffen bin und es auch nicht mit mir in Verbindung bringe.
Deshalb empfehle ich auch meinen Klientinnen, während den Behandlungen den Kreis der Informierten möglichst klein zu halten, denn nur so kann man kontrollieren, wer einen etwas fragt und wann man dies zulässt. Ansonsten können die Reaktionen aus dem Umfeld ausser Kontrolle geraten und einen dann erreichen, wenn man gerade keine Kraft dafür hat. Das hilft am Ende niemandem.
Meine Erfahrung aus 32 KiWu-Behandlungen hat mich gelehrt, dass nicht alle Menschen sich so viele Gedanken zu diesem Thema machen (wollen) wie ich.
So sehr ich mich im Recht wähnte, nichts falsch gemacht zu haben, mich nicht schämen zu müssen und einfach nur Verständnis für meine Situation zu wollen, so sehr musste ich mich von dieser idealistischen Idee verabschieden.
Ich entschied mich gegen eine offene Kommunikation, weil es schlicht meine Kräfte überstieg. So sehr ich selbst davon betroffen war, musste ich lernen, dass es nicht meine Aufgabe ist, währenddessen auch noch die Menschen von meinem Weg zu überzeugen oder irgendjemanden bekehren zu müssen. Ich musste meine Kräfte bündeln und für meinen Selbstschutz und für meinen ohnehin schon steinigen Weg einsetzen. Was die anderen dachten, musste mir erstmal egal sein. Ihr Verständnis half mir am Ende auch nicht weiter.
Nur weil man etwas teilt und erklärt, heisst das noch nicht, dass andere Menschen automatisch mehr Verständnis dafür haben. Im Gegengeil - man macht sich vielleicht sogar angreifbarer. Deshalb bin ich überzeugt, dass es besser ist, in einem Moment hierüber zu kommunizieren, wenn man voll bei Kräften ist und sich dann gegen unpassende Argumente auch zur Wehr setzen kann, damit zumindest Waffengleichheit herrscht. Wenn man dann noch überzeugen kann, kann man nur gewinnen und genau das tue ich hier.
Leider ist das Zeitalter des Teilens jeder erdenklichen Diagnose zwar etwas fortgeschritten, aber gleichzeitig steigt auch das Bedürfnis der Menschen, sich zu allen Themen äussern zu müssen und alles kommentieren zu müssen. Unerfüllter Kinderwunsch stellt einen aber schon vor so viele schwere Entscheidungen, Situationen ohne einzig richtige Lösung, Wut und Trauer, dass es schlicht in der blanken Überforderung mündet, wenn man dazu noch alle Meinungen von Hinz und Kunz auf sich einprasseln lässt. Oftmals verfügen die Menschen zu diesem komplexen Thema über mehr Meinung als Ahnung, was einen automatisch in die Defensive drängt. Man ist aber niemandem Rechenschaft schuldig für die Wahl dieses Weges und bei einem negativen Ergebnis nicht noch die Last aller Gratistipps tragen zu müssen, ist doch erheblich leichter.
Man muss sich weder verstecken, noch gänzlich Stillschweigen bewahren. Stattdessen empfehle ich immer, das Thema in einem geschützten Rahmen zu teilen, z.B. in einer Selbsthilfegruppe, hier online mit anderen Betroffenen oder mit Personen, bei denen man sicher ist, dass sie dem Thema gut gesinnt sind.
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