Bei einer Beratung zu einer Kinderwunschbehandlung in einer Klinik geht es immer nur darum, welche Nebenwirkungen entstehen können, welches Verfahren wohl das beste sei und welche Zusatzbehandlungen von Nutzen sein könnten. Für die Zeit vor und nach der Behandlung ist deine Klinik aber nicht für dich da.
Aus diversen Diskussionsrunden auf meinem Social Media Kanal, aber auch aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich hier ein paar Aspekte des Sozialen Rückzugs näher beleuchten, die ein grosses Tabuthema sind.
Alle Betroffenen von unerfülltem Kinderwunsch kommen früher oder später an den Punkt, an dem sie dieses Thema vor unangenehme Entscheidungen stellt. Es ist Eisprungtag - sollen wir zuhause bleiben oder zu Stefans Geburtstagsparty gehen? Danach wären wir evtl. zu müde... Oder ich muss den Mädels schon zum dritten Mal für unser geplantes Wellness-Wochenende absagen, weil mein Zyklus schon wieder früher dran ist als geplant.
Was als harmloses Pokerspiel beginnt, wird irgendwann zum Spiessrutenlauf. Viele Betroffene haben mir berichtet, dass sie aufgrund der Vielzahl von Herausforderungen dieses Themas meistens einfach zu erschöpft sind, um noch soziale Aktivitäten zu unternehmen. Wenn man morgens schon während der Arbeit zum Ultraschall rennen muss, im Büro nur böse Blicke erntet, weil man schon wieder abwesend war und dann noch alles nachgearbeitet werden muss; wenn man im Feierabendverkehr in diese eine Apotheke am anderen Ende der Stadt fahren muss, weil nur diese die Medikamente so schnell bestellen kann, dann schnell was essen und los gehts, denn es ist Eisprung-Tag. Danach noch ins Fitness? Wohl kaum.
Dieser Teufelskreis beginnt früher oder später immer, denn unerfüllter Kinderwunsch ist ein Thema, das sich mit der Zeit in alle Lebensbereiche einschleicht und dort nachdrücklich bleibt.
Es macht manchmal noch einen Unterschied, ob man über das Thema offen sprechen kann oder nicht, da im ersteren Fall zumindest noch ein bisschen Verständnis für kurzfristige Absagen vorhanden sein kann - das muss aber nicht sein. Im letzteren Fall muss man sich immer häufiger diffuse Ausreden einfallen lassen, die gut genug für eine Absage sind, aber trotzdem so alltäglich und glaubwürdig, dass man die moralischen Limits nicht ausreizt und nicht irgendwie anders in die Bredouille kommt. Das ist anstrengend.
Nicht zu vernachlässigen ist auch der finanzielle Aspekt. Bei vielen Betroffenen ist das Geld chronisch knapp und wir alle kennen den Moment, wenn die Klinik plötzlich meint, dass es hier doch noch einen Ultraschall bräuchte und da noch ein zusätzliches Medikament, das man selbst bezahlen muss. Da wird dann plötzlich beim Fitnessabo gespart, das man früher noch dazu genutzt hat, jeden Dienstag zum Stepkurs mit den Mädels zu gehen. Überhaupt ist einem mit zwanzig heranwachsenden Follikeln im Bauch nicht mehr so nach Stepkurs, dann lohnt sich das Abo ja noch weniger. Gespart wird auch bei Kinobesuchen, beim Wellnesswochenende usw., weil. man die 100 Euro einfach anderweitig braucht. Man hat in solchen Momenten auch keine Lust, gegenüber Freunden zu erklären, warum man sich diese Handtasche nun doch nicht kauft, von der man früher immer so geschwärmt hat und die es jetzt sogar im Angebot gibt.
Ich erinnere mich selbst noch gut daran, wie ich langsam begann, in zwei verschiedenen Welten zu leben. Zu jeder Zeit hatte ich als Juristin ein sehr gutes Gehalt, teilweise sogar als Abteilungsleiterin einer grossen Behörde. Kaum war aber der Lohn eingegangen, musste ich die Rechnungen für alle Behandlungen und Voruntersuchungen bezahlen, die in der Schweiz leider in unserem Fall zu 0% übernommen wurden. Kein einziger Franken. Jeden Monat beliefen sich die Kosten auf mehrere tausend Franken und das Geld zerfloss zwischen meinen Fingern, bevor ich mal einen richtigen Wocheneinkauf getätigt hatte. Unter dem Strich lebte ich jahrelang von weniger Geld als ein Sozialhilfeempfänger, dessen Behandlungen und Krankenkassenprämien alle von der Kasse übernommen werden. Nun könnte man sagen, dass jeder seine Prioritäten ja selbst setzen kann.
Das stimmt und ich habe mich für das Baby als oberste Priorität entschieden, im wahrsten Sinne des Wortes koste es was es wolle. Trotzdem ist das in der Praxis nicht immer so einfach, wie wenn meine erste Priorität gewesen wäre, dass ich hätte Golfprofi werden wollen. Wenn man über das Thema nicht offen sprechen kann, dann kommt man in sehr unangenehme Situationen, die in der Aussenwelt nicht als solches wahrgenommen werden. Wenn ich erzählt hätte, dass ich schon zum dritten Mal dieses Jahr nach Spanien zum Golfen fliege, hätte das niemanden interessiert.
Zeitweise musste ich mein Auto von der Zulassung abmelden, weil ich mir die Raparatur und die Versicherung nicht leisten konnte, nachdem wieder eine IVF fehlgeschlagen war. Warum also nicht erst das Auto reparieren und dann die nächste IVF machen? Weil ich vom Zeitplan her nur noch eine Chance hatte, wo zu einem bestimmten Zeitraum alles so passte, dass ich eine Behandlung machen konnte und bis dahin fehlte mir das Geld für beides. Die Behandlung später zu machen, war aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Also musste das Auto warten. Wie aber den Freunden erklären, dass ich zum Skiwochenende nicht mitfahren konnte, weil ich kein Auto hatte? Ich, die Abteilungsleiterin, die am meisten verdient von allen? Schnell kommen dann Fragen von Fachleuten, die nicht verstehen können, warum ich so eine günstige Reparatur wie den Zahnriemen für "nur" 1500 € immer noch nicht gemacht habe? So kommt man sehr schnell in Erklärungsnot, weil das Umfeld einen anders einschätzt, als man tatsächlich aufgestellt ist.
Ich hatte schlicht keine Energie und keine Lust, meinem Umfeld zu erklären, dass ich mir gerade nochmal eine Gebärmutterspiegelung im Unispital für 2500 Franken geleistet (oder sollte ich sagen gegönnt?) habe, weil es dort einen neuen Spezialisten gibt, der vielleicht noch etwas herausfinden könnte. Deshalb kann ich dieses Jahr leider nicht auf den Wochenendtrip nach Barcelona mit, auch wenn die Tickets mit Easyjet unschlagbar günstig sind. Und nein, ich möchte nicht jeder Freundin im Detail erklären, wie eine Gebärmutterspiegelung abläuft - vor allem dann nicht, wenn man das im Unispital macht und noch drei Leute zusätzlich zuschauen. Dieses Level an Voyeurismus reicht mir vollkommen.
Auch wenn man offen mit dem Thema umgeht und Freunden transparent darlegt, warum man lieber 10'000€ für eine künstliche Befruchtung ausgibt, ist man nicht davor gefeit, dass auch dann die anderen Leute es nicht verstehen können und der Meinung sind, sie hätten ihre 10'000€ mit ihrem Malediven-Urlaub besser investiert, denn immerhin könnten sie sich entspannen und vielleicht würde uns dies ja auch mal guttun... Siehst du, was ich meine?
Ihr seht - unerfüllter Kinderwunsch kann eine fiese Sackgasse sein und die meisten Betroffenen stehen schon mitten drin, ehe sie sich versehen, dass sie sehr einsam geworden sind.
Deshalb habe ich es mir zum Ziel gesetzt, in meinen Coachings genau auf solche Aspekte einzugehen. Ich bereite meine Klientinnen auf genau solche Situationen vor, damit sie nicht nur im Aussen, sondern auch im Inneren dafür bestens vorbereitet sind. Man wird nicht alle Situationen vermeiden können, aber man kann selbst entscheiden, wie man damit umgeht, bevor sie einen überrollen. Hier gebe ich meine Erfahrungen aus 32 Kinderwunschbehandlungen weiter, um Betroffene bereit vorsorglich zu unterstützen.
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