Würde man zu einem Rollstuhlfahrer sagen: „Entspann dich einfach, dann klappt das mit dem Laufen schon wieder“? Vermutlich nicht, denn viele Menschen würden dies als übergriffig und geschmacklos bezeichnen. Aber im gleichen Atemzug wird dieser Ratschlag an Menschen gegeben, die unter unerfülltem Kinderwunsch leiden.
“Entspann dich doch…” ist vermutlich der mit Abstand häufigste und gleichzeitig unpassendste Ratschlag, den man (ungefragt) vom Umfeld erhält, wenn man schon länger versucht, schwanger zu werden.
Auch viele Kinderwunsch-Coachings bauen implizit auf diesem Ratschlag auf, da man sich durch häufiges Meditieren, Yoga machen usw. einfach entspannen soll.
Szenenwechsel
Man liegt auf einem Untersuchungsstuhl in einem grell erleuchteten OP-Saal mit gekachelten Wänden und um einen herum schwirren drei oder vier Personen vorbei, alle schauen einem zwischen die Beine und gucken konzentriert, was für ein Problem sie dort als nächstes entdecken. Sie tragen OP-Hauben und Gesichtsmasken und man kann sie nicht einmal voneinander unterscheiden. Man spürt, wie einem irgendwo im Bauchraum herumgestochert wird und eventuell ist es sogar schmerzhaft, aber unangenehm reicht auch schon. Und da soll man sich entspannen?
Man kann über einen solchen gut gemeinten Ratschlag nur wütend werden. Zunächst ist es schon ein Paradoxon, sich auf Kommando entspannen zu können. Man kann angespannt oder nicht angespannt sein, aber eine Steigerung von nicht angespannt gibt es gar nicht, sodass „sich mehr entspannen“ nicht möglich ist.
Im Nachgang zu diesem Ratschlag kommt dann oft eine daher gesagte Geschichte in der Art von: „Meine Nachbarin versuchte auch lange schwanger zu werden und als sie aufgehört hat, es zu probieren, da hat es geklappt“. Ja, solche Geschichten gibt es, oft auch im Film. Das Problem ist aber, dass es 99 andere Fälle gibt, in denen es auch nach dem Nicht-mehr-daran-denken trotzdem nicht klappt, nur davon spricht niemand.
Wenn medizinische Einschränkungen vorliegen, z.B. verklebte Eileiter oder eine geringe Spermienqualität, ist es ein Hohn jemandem einfach zur Entspannung zu raten, denn diese wird das Problem nicht lösen. Hinzu kommen Belastungen wie finanzielle Schwierigkeiten, häufige Behandlungstermine, körperliche Beschwerden und vieles mehr. Da kann man sich nicht „einfach“ entspannen.
Stattdessen ist es wichtig, selbst zu anerkennen, dass unerfüllter Kinderwunsch eine Diagnose ist wie jede andere auch, die ihren Raum verdient. Es ist genauso okay, deswegen körperliche Beschwerden zu haben, eben ganz gleich wie jemand, der im Rollstuhl sitzt oder sonstige Einschränkungen hat. Es ist auch okay, sich schlecht zu fühlen, oder dass einem etwas unangenehm ist. Denn auch kein Kind bekommen zu können, ist eine Einschränkung. Man kann Diagnosen nicht gegeneinander abwägen – jede ist für sich schlimm, denn ein Individuum muss damit leben.
Statt den Fokus auf die Entspannung zu legen, rate ich immer, sich stattdessen für die Anstrengungen selbst zu loben. Wir dürfen stolz sein auf alle Anstrengungen, die wir unternehmen, um unser Wunschbaby zu bekommen. Für andere da draussen ist dies vielleicht leichter, aber wir nehmen jeden Schritt auf uns und keiner ist uns zu schade. Wir verdienen ein riesiges Lob für alle Strapazen, die wir aushalten, für all das worauf wir verzichten und alle Treppenstufen, die wir mit grosser Kraft erklimmen. Das ist eine herausragende Leistung, der sich andere gar nicht bewusst sind. Eines Tages können wir unserem Baby erzählen, was für eine Reise wir unternommen haben, um es schliesslich kennenzulernen.
Wie du konkret auf unpassende Kommentare reagieren kannst, können wir gemeinsam in einem Coaching besprechen. Du stehst dabei im Mittelpunkt, denn es muss dir dabei besser gehen und dir helfen. Deshalb erarbeiten und üben wir Antworten zusammen, die dir in einer solchen Situation am besten helfen.
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